Johannes Heisig
Malerei - Grafik - Zeichnung
Er malt die Welt
Zu den Bildern von Johannes Heisig
Die Welt malen. - Etwas kleiner geht es wohl nicht? Das konnte vielleicht Leonardo da
Vinci. Weil er glaubte, den Bauplan der Welt in seinen Händen zu halten. War er doch
außer Maler auch Architekt, Ingenieur und Naturphilosoph. Ich bleibe trotzdem dabei:
Johannes Heisig kann die Welt malen. Anders als sein Vater, der Maler Bernhard Heisig,
mit seinen Bildern der tausend Perspektiven, die wie ein Prisma die Zeit aufbrechen
konnten. Johannes Heisig holt sich die Welt auf andere Weise. Er vereinigt das
Gegensätzliche in der Welt zu einem neuen Ganzen. In Zeiten, wo die Welt nicht mehr als
Ganzes erkennbar ist, kann das neue Ganze nur noch ein fiktives Bild sein. In der Kunst ist
die Fiktion die Welt. Also malt Johannes Heisig uns die Welt!
Sie kann sich in einer Landschaft, einem Blumenstillleben, einem Fischgericht verstecken.
Wenn wir auf seinen Bildern Bäume, Blumen, Fische sehen, soll es uns ergehen, wie es
ihm ergangen ist: Nach langem Anschauen haben sie sich in ihrer konkreten Existenz
aufgelöst und sind zu etwas Größerem geworden, einem Stück Welt. Diese Verwandlung
vermag nur die Kunst. - Eine Landschaft von ihm heißt „Feldrain“. Kein Wald, nein, nur
eine Baumgruppe, mächtig ausgedünnt stehen sie in einer lausigen Reihe am Feldrain, als
würden sie sich ohne Regen ins Hemd machen. Gezaust, ausgedünnt, struppig. Als wäre
die dürre Welt von heute in diese Baumreihe gefahren. Ist ja auch so, wir haben keinen
freien Blick mehr, um zu sagen: Auf, ihr Menschen und Insekten kommt, welch schöner
Feldrain. - In dem Blumenstillleben „Amaryllis“ steckt viel von der Eigenart des
Künstlers. Bei ihm gibts keine Skizzen, keine fertigen Bilder im Kopf. Er schiebt die
Farben über die Leinwand. Noch ohne Plan. Aus einem einzigen Gestrüpp von Linien
bricht plötzlich ein Rot hervor. Die Amaryllis ist geboren. Sie thront auf der Leinwand als
ein blühendes, blutendes Chaos. Und das „Fischgericht“? Zwei tote Fische, ausgenommen,
gekrümmt, stumpf die Haut. Das Ende einer Mahlzeit oder ihr Anfang, wer weiß. Kein
Massaker hat stattgefunden, tote Fische sind normal, wenn sie Mahlzeit werden sollen.
Aber tot bleibt tot. Warum die Schrift auf dem Einwickelpapier? Natürlich ist sie kein
Spruchband wie bei den Malern der Reformation, aber vielleicht ein Code.
Johannes Heisig, der die Welt malen will, besteht auf Malerei. Er holt die Bilder aus den
Farben. Er kratzt sie in die Farben hinein. Zumindest ist dies das eine Bein, auf dem seine
Malerei steht. Das andere zeigt sich immer dann, wenn Figuren im Spiel sind. Anders als
eine Amaryllis, eine Baumgruppe am Feldrain oder zweite tote Fische: Figuren wollen
reden, ob sie Text haben oder nicht. Durch sein ganzes Werk zieht sich das Genre des
Porträts. Dabei bewegt er genauso die Farben über die Leinwand. Heisig sucht nach dem
Ausdruck lebendigen Seins. Wie der Dichter Volker Braun auf dem Porträt die offene
Hand nach vorn schiebt und den Kopf nach hinten, sehe ich ihn in schönster Lebendigkeit
einen Gedanken anbieten und ihn zugleich skeptisch zurückziehen. Ich sehe, wie es den
Dichter zu zerreißen droht. Volker Brauns dichterische Maxime: "Es genügt nicht die
einfache Wahrheit“ trifft sich mit Heisigs Weltsicht. Wenn sie als einfache nicht genügt,
wo versteckt sich die komplizierte Wahrheit? Die Frage danach wäre die Millionenfrage
bei Günter Jauch. Also nur im äußersten Glücksfall zu beantworten. In seinem eigenen
Selbstporträt zeigt uns der Maler, wie ernst es ihm ist. Er will die Welt malen und sie
entzieht sich ihm. Das Selbstporträt zeigt den Maler im Blaumann von der Welt
schockiert. Sein Gesicht wirkt versteinert. Wer wollte, wenn er es ernst meint damit, die
Welt zu malen, nicht vor Schreck versteinern? - Wie schnell kann ein Herbstfeuer in
Deutschland aufhören, harmlose Verabschiedung des Sommers zu sein. Die beiden
Figuren im Vordergrund fassen sich bei den Händen. Sie haben Angst. Der Mann – es ist
der Maler selbst – blickt auf uns, die Betrachter. Sollen wir den Brandstiftern das
Handwerk legen? Malerisch beeindruckend der brennende Holzstoß. Er ist es, der das Bild
fast schon überdeutlich mit Ahnungen auflädt. - Und die Welt in Heisigs Bild „Waterloo
Sunset“? Im Vordergrund der Maler, der seinen Pinsel dicht an sich zieht und festhält, als
fürchte er, ihn im Trubel in seinem Rücken entrissen zu bekommen. Es mag der
rebellische Geist des Songs „Waterloo Sunset“ der Rockgruppe „The Kinks“ von 1967
sein. In jedem Fall aber ist es Heisigs Versuch, die Welt zu malen.
Mag uns die Welt oft scheinen, als regiere in ihr das Chaos. Beim Versuch, sie zu malen,
verlangt das Handwerk des Künstlers ihr eine Ordnung zu geben. Vordergrund,
Mittelgrund, Hintergrund oder Lichtquelle links, Lichtquelle rechts. Alles hat seinen Platz
und seine Logik. Fiktion hin, Fiktion her. Dass das, was auf dem Bild zu sehen ist, eine
Erfindung ist, spielt keine Rolle. Es geht um die unsere Welt rettende Ordnung. Johannes
Heisig hält sich in seinen Bildern daran.
Die große Hoffnung ist es, dass das Bild klüger ist als sein Maler. Er hat bis zur letzten
Haarspitze all seine Antennen auf die Welt gerichtet. Mehr kann er nicht tun. Er sucht im
Bild das Sinnbild, kann aber - wenn er es aus der Farbe kratzt - nicht immer für den Sinn
garantieren. Johannes Heisig, der Maler, ist beides gleichzeitig: ein Könner und ein
Suchender.
Michael Hametner