Oxana Voytenko Quartett
Ein Ton wie Bernstein: leicht und verschattet, bauchig und transluzent, verstrahlt er ein warmes, intensives Licht, das die vielgestaltig differenzierten Konturen hervorhebt, ohne jedes Detail, jede Runzel der musikalischen Textur in scharfkantigem Kontrast zu betonen: „Amber Light“, der Titelsong des Albumdebüts von Oxana Voytenko, einer Jazz-Sängerin aus Russland, die in Hannover eine Wahl-Heimat gefunden hat und nun zum nächsten Sprung ansetzt. Der Song ist entstanden, als die Sängerin vor zwei Jahren zum ersten Mal nach New York kam und in den Häuserschluchten ein vertrautes Licht sah, das tiefe Gefühle in ihr weckte: „Als ich aus der Subway kam“, erinnert sie sich, „dachte ich, dass es die Beschäftigung mit Jazz war, die mich hierhin geführt hat. Ich sah mich wieder, wie ich als Kind am Strand entlanglaufe, wo man manchmal so ein kleines Stückchen Bernstein findet. Wenn die Sonne ganz tief steht, sieht das aus wie kleine Feuerchen.“
Oxana Voytenko ist eine besondere Sängerin. Stilistische Schubladen interessieren sie nur am Rande, doch der Jazz, Bebop und seine moderneren Nachfahren bilden die Referenzgröße, die sie mit Spuren von Pop und Soul und kaum noch zuzuordnenden, tieferen musikalischen Erinnerungen anreichert und in einem individuellen Klang zu verbinden. Im Mittelpunkt steht dabei die Freiheit, in der Musik eigene Wege zu verfolgen, und spannungsgeladene Atmosphären zu entwerfen, die die besonderen Tönungen ihres Lebenswegs reflektieren. Die neun Songs von „Amber Light“, dem Album, das sie unter eigener Regie mit einem erlesenen Quartett einspielte, dokumentieren eine souveräne Sängerin, die ihre Werkzeuge ebenso selbstverständlich beherrscht, wie sie hinter den Gesamtklang ihrer Musik zurücktritt. Oxana Voytenko ist eine außergewöhnliche Sängerin auch insofern, als sie ihre Songs weniger vom Text her konzipiert. „Für mich kommt erst mal die Musik“, erklärt sie, „Melodie und Harmonien, manchmal habe ich auch schon den Titel und weiß, worum es geht. Aber der Text kommt - bisher - immer später.“ Die innige Verbindung zu ihrer Heimat, zu ihrer Natur und ihren Menschen, ihren Bildern und ihren Klängen, ist es, die „Amber Light“ Intensität verleiht. Und da kommen dann doch die Worte ins Spiel. Zwei der Songs singt Oxana Voytenko in ihrer Muttersprache. „Wenn ich auf Russisch singe“, sagt sie, „ist das schon etwas Besonderes für mich: das ist sehr nah. Das ist meine Seele, meine Kindheit. Die Sprache klingt ganz weich, sehr intim. Sehr warm.“
Geboren im Mai 1985 in Sovjetsk, dem früheren Tilsit, im Hinterland der Bernsteinküste. Noch bevor sie in die Schule kommt, zerfällt die Sowjetunion; ihre Heimat wird zu einer russischen Enklave zwischen Ostsee, Polen und Litauen. Diese Region hat sie geprägt, das Meer, die sanft gewellte Landschaft, die Menschen, Freunde, ihre Familie. Die Sprache und die Klänge. Oxana Voytenko ist einen weiten Weg gegangen: staatliche Musikschule, fünf Jahre lang täglich Musikunterricht, ihr Hauptfach: klassische Gitarre. Nebenher sang sie, Popsongs und russische Romanzen. Mit zwölf sieht sie eine Gesangsgruppe auf der Bühne, und der Groschen fällt. Ein Jahr später gibt sie selbst vor tausenden Zuschauern beim Stadtfest von Sovjetsk ihr Bühnendebüt. Irgendwann, sie war da etwa 22 Jahre alt, spielte ihr ihre Gesangslehrerin Jazzplatten vor: Al Jarreau, Billie Holliday, Sarah Vaughan. Auf dem Heimweg hat sie das Gefühl, zu fliegen vor Glück. „Das hat mir so einen Spaß gemacht“, schwärmt sie noch heute. „Das ist so eine riesige, neue Welt, da ist so viel mehr zu entdecken, und das dauert immer noch an.“ Sie studiert Jazzgesang in Hannover bei der Gesangsdozentin Romy Camerun. Oxana ist ehrgeizig, fokussiert, gradlinig – ziellose Sessions sind nicht ihre Sache. Sie will mehr und arbeitet konsequent daran, dass es passiert.
Nach fünf Jahren, bei ihrem Aufenthalt in New York, spürt sie, dass die Puzzleteile ineinanderfallen. Sie spielt dort mit dem Schlagzeuger Christian Finger, einem Musiker aus Dortmund, der seit langem in New York lebt, und erzählt ihm von dem Pianisten Vadim Neselovskyi, dessen virtuoses Zusammenspiel mit dem ebenfalls russischstämmigen Flügelhornspieler Arkady Shilkloper, sie kurz zuvor tief berührt hatte. Der Schlagzeuger ermutigt sie, den Pianisten, der auf Fingers letztem Album mitgespielt hatte, einfach anzurufen. Nun bildet Neselovskyi zusammen mit dem Essener Kontrabassisten Alex Morsey, der wiederum in Neselovskyis Trio „Bez Granitz“ mitwirkte, sowie mit Christian Finger und der Sängerin selbst das Oxana Voytenko Quartet. Doch nicht nur aufgrund seiner ukrainischen Wurzeln fällt Neselovskyi dabei eine Sonderrolle zu: geboren und aufgewachsen in Odessa, ausgebildet in Dortmund und an der elitären Jazzhochschule Berklee in Boston zur Meisterschaft geschliffen, fungiert er als eine Art Spiegel, in dem sie die russischen Komponenten ihrer musikalischen Sensibilität in aller gebotenen Sorgfalt hervorarbeiten kann. „Ich bin sehr penibel, ich möchte diese Sachen genau so haben, wie ich das möchte, und ich suche solange, bis ich den Punkt finde, wo ich sagen kann: ja, das ist es.“