La Traviata
Violetta Valéry, die »Kameliendame«, feiert. Sie muss feiern. Eine zu dieser Zeit überall tödliche Krankheit, Tuberkulose, mag ihr nahelegen, das Leben möglichst intensiv zu genießen. Gleichzeitig sichern Investitionen in großbürgerliche Party-Exzesse ihre Existenz, halten den Preis für erotische Dienstleistungen stabil. Auch eine betuchtere Klientel fühlt sich angezogen, wenn mit Champagner und beschwingter Musik Erotik zum Luxusartikel aufgewertet ist. Kommt genügend Kapital zusammen, kann Violetta sich vielleicht ein Sterben in Würde leisten. Ein Mann, Alfredo Germont, tritt in ihr Leben, Liebe kommt ins Spiel. Sie fliehen aus Paris, ziehen aufs Land. Violetta finanziert das idyllische Landleben. Doch Giorgio Germont, Alfredos Vater, gesellt sich hinzu. Alfredos Schwester soll heiraten, der Name der Familie darf nicht in Verruf kommen durch Alfredos wilde Ehe mit einer Prostituierten. Violetta verlässt Alfredo, identifiziert sich mit seiner Schwester, rettet den Namen »Germont«. Sie kann sich damit trösten, ein Opfer zu bringen – und wird als Opfer auf dem Altar des »Anstands« dargebracht. Vielleicht jedoch wächst ihr die Würde einer Rebellin zu, die bis zum letzten Atemzug schonungslos ausbuchstabiert, was es heißt, zu Lebzeiten aus der Gesellschaft der Lebenden verstoßen zu sein. Mit Almosen ist es im Endstadium nicht mehr getan. Der Anstand gibt sich die Blöße.
Violetta Valéry – eine Rolle, der Koloraturen nicht zum Beweis technischer Virtuosität in den Mund gelegt sind. Virtuosität ist es, die Violetta eine Weile überleben lässt und dem Rausch ihres Lebens Dringlichkeit verleiht. Diese Virtuosität ist ebenso lebensecht wie der Husten, der dieser Todkranken immer wieder ins Wort fällt. Verdis Musik ist Lebensmusik – von der ersten bis zur letzten Sekunde.
Giuseppe Verdis Oper ist zeitnah – zu jeder Zeit, in der das Leben im Bann von Eros, Macht und Kapital steht.
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