Der fiktive Ort Shangri-La, von dem der britische Schriftsteller James Hilton 1933 in seinem Roman Lost Horizon berichtet, ist letztlich eine Metapher: eine Metapher für die Suche nach einem Idealzustand, einem Ort der inneren Ordnung, der Ruhe und des Friedens. Hilton beschreibt Shangri-La als ein idyllisches Tal mit reicher Vegetation – einen paradiesischen Garten Eden.
Die Suche nach Harmonie, nach Ordnungsstrukturen zur Erlangung eines „Idealzustandes“ begleitet auch die künstlerische Arbeit von Gabriele Basch. Malerische Prozesse bilden den Ausgangspunkt ihrer Arbeit. Die Vorderseite des Papiers wird mit Farbe bearbeitet, Spuren werden aufgebracht, gestische Setzungen in zahlreichen Schichten angelegt. In einem zweiten Schritt reagiert Gabriele Basch mit dem Cutter auf die entstandene Malerei. Hierbei agiert sie eher zeichnerisch und schafft mit den scharf abgegrenzten Strukturen einen Gegenpol zu den malerischen. Indem Gabriele Basch auch die Rückseite der Papiere großflächig mit leuchtenden Farben fasst, wirft das Licht, das durch die geschnittenen Aussparungen hinter die Arbeit gelangt, einen farbigen Schatten auf die Wand. Malerei und geschnittene Struktur werden so ergänzt durch einen weichen, hinter dem Bild liegenden Farbraum. Es entsteht eine Verbindung zwischen Vorder- und Hintergrund, ein Übergang vom Objekt und seinem Schatten, die Grenzen der beiden Ebenen verwischen und objektive Realität und Fiktion begegnen sich.
Üppige Formen und Farben bestimmen die Serie von Gabriele Baschs neuen Cutouts. Sinnlich verführerisch – ein pittoreskes abstraktes Pflanzenreich –, spielen sie mit der Idee eines paradiesischen Ortes. Aber die Idylle ist trügerisch. Mal überwuchern grau-blaue Schlieren die vermeintliche Idylle, mal kippt die Farbigkeit ins Morbide. So lässt sich Gabriele Basch nicht ein auf eine eindeutige Position, auf eine Verklärung einer „anderen, paradiesischen Welt“.
Der Roman fußt auf der Beschreibung eines geheimnisvollen, abgeschiedenen Ortes Shangri-La. Der berichterstattende Augenzeuge verschwindet jedoch auf mysteriöse Weise, erhalten bleibt nur die Erzählung. Trotz intensiver Suche auf Grundlage dieser Beschreibung, bleibt die tatsächliche Existenz des Ortes im Verborgenen. Shangir-La ist ein Sehnsuchtsort, ein Ort des Stillstands, ein Endpunkt. Ist nicht dessen Erreichen sogar ein Widerspruch in sich, wenn wir eigentlich Bewegung und Entwicklung als menschliche und gesellschaftliche Lebenswirklichkeit ausmachen können? Dieser Widerspruch wird in der Arbeit von Gabriele Basch erfahrbar. Über die Fremdheit ästhetischer Erfahrung lässt sie uns spüren, dass die Welt ein Ort des Wandels ist, dass es sich lohnt, individuelle Gewissheiten immer wieder aufs Neue in Frage zu stellen und andere Möglichkeiten zu denken.
Gabriele Basch (*1964 in Bad Homburg) studierte Malerei an der Hochschule der Künste Berlin. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien, darunter das Stipendium der Villa Massimo, Rom, des Berliner Senats für Istanbul, das Stipendium des Kunstfonds Bonn und die Stipendien der Künstlerstätten Bleckede und Schloß Plüschow. Ihre Malereien und Papierschnitte wurden u.a in der Hamburger Kunsthalle, im Contemporary Art Center Vilnius, dem MARTa Herford, dem Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern, dem Museum Moderner Kunst Kärnten, in der Villa Massimo in Rom, der Stadtgalerie Saarbrücken, der Altana Kunstsammlung und dem Museum Frieder Burda, Baden-Baden, gezeigt. Seit 2012 ist sie Professorin für Malerei an der HAW Hamburg. Basch lebt und arbeitet in Berlin und Hamburg.