Das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle besitzt vier von neun Zeichnungen Leonardo da Vincis (1452–1519) in Deutschland. Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Kunsthalle und des 500. Todesjahres des Universalgenies präsentiert die Kunsthalle die vier Blätter erstmals nach zehn Jahren wieder zusammenhängend in einer eigenen Ausstellung. Die hochsensiblen Graphiken sind Meisterwerke der Zeichenkunst und zählen zu den wertvollsten Kunstschätzen der Kunsthalle überhaupt. Sie werden zusammen mit weiteren 30 Werken zwei Wochen lang ab dem 5. Juni 2019 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es handelt sich um die umfassendste und qualitätsvollste Würdigung Leonardos anlässlich seines 500. Todesjahres in Deutschland.
Für den Besuch der Ausstellung wird der Erwerb eines Zeitfenstertickets mit ausgewählter Besuchszeit empfohlen. Ohne den Besitz dieses Tickets muss eventuell mit Wartezeit für den Einlass gerechnet werden.
Im Mittelpunkt der Präsentation stehen die vier Leonardo-Zeichnungen, die zwischen ca. 1475 und 1505 entstanden sind. An ihnen lassen sich die grundlegenden Elemente von Leonardos künstlerischen Absichten als Zeichner ausmachen und die verschiedenen Facetten seiner kreativen Persönlichkeit veranschaulichen. So zeigen die Studie zu einer Anbetung der Hirten (um 1480) und der Hl. Sebastian (um 1478/1483) Leonardos virtuose, suchende Zeichenweise und seine Experimentierfreude, die zu erstaunlich freien Linienzügen führt. Die durch das purpurviolett grundierte Papier besonders reizvolle Anbetung der Hirten verdeutlicht seine Fähigkeit, mit wenigen Strichen ausdrucksstarke Gestalten und eine spannungsvolle Szenerie zu entwickeln. Der Hl. Sebastian ist das Studium einer komplizierten Körperbewegung, die möglicherweise als Vorstudie für ein privates Andachts- oder Altarbild diente. Das Blatt mit Aristoteles und Phyllis (um 1475) entstammt der Frühzeit Leonardos und bietet eine in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts populäre Szene der »Macht der Frauen über die Männer«. Dargestellt ist der Moment, in dem sich der griechische Philosoph Aristoteles (384–324 v. Chr.) am Boden kriechend von seiner Geliebten Phyllis demütigen lässt. Der Kopf eines alten Mannes oder einer alten Frau im Profil (um 1495/1505) steht beispielhaft für Leonardos bis dahin einzigartige systematische Studien der menschlichen Physiognomie. Dabei ging es ihm nicht nur um die Darstellung von Schönheit und Harmonie, sondern auch um das vermeintlich Hässliche und Deformierte.
Die Arbeiten zeigen die ikonographische Erfindungskraft Leonardos: Sowohl die Gruppierung der Hirten, die lebhafte Bewegung des Heiligen, seine Interpretation der Paar-Szene, als auch das Interesse an physiognomischen Studien ist im ausgehenden 15. Jahrhundert ungewöhnlich. Zudem zeigen die Blätter Leonardos technische Versiertheit und Aufgeschlossenheit. Als einer der ersten Künstler verwendete er nachdrücklich den Rötel als Zeichenmittel und erlangte dabei eine Ausdruckskraft, die Maßstäbe setzte.
Eingerahmt werden die Zeichnungen von rund 30 Reproduktionsgraphiken, Fotografien und Karikaturen nach Gemälden und Zeichnungen Leonardos aus fünf Jahrhunderten. Hierbei wird der Frage nachgegangen, auf welchen Wegen Leonardos Werke seit der Renaissance ihre Verbreitung fanden. Es brauchte teilweise Jahrhunderte bis von Leonardo geschaffene Ikonen der Kunstgeschichte – wie seine Gemälde Das Abendmahl (1494/1497) oder die Mona Lisa(1503/1506)– in guten Reproduktionen zur Verfügung standen. Die Ausstellung zeigt die unterschiedlichsten medialen »Übersetzungen« dieser beiden weltberühmten Leonardo-Werke, aber auch von weiteren Gemälden und Zeichnungen Leonardos von nachfolgenden Künstlern wie Raphael Morghen (1758–1833) und Gerard Edelinck (1640–1707).
Zu sehen sind außerdem vier der bekanntesten Porträtdarstellungen zu Leonardo da Vinci. Bis heute ist umstritten, wie der Künstler tatsächlich ausgesehen hat. Präsentiert wird auch die bekannteste Darstellung von Leonardos Todesstunde: Der Legende nach versorgte der französische König Franz I den todkranken Leonardo und kniete an seinem am Bett, als dieser starb.
Die vier Leonardo-Zeichnungen des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle stammen aus dem Besitz von Georg Ernst Harzen (1790-1863), der sie zwischen 1838 und 1861 auf dem Londoner Kunstmarkt erwarb. Die Sammlung des Kunsthändlers Harzen kam per Testament 1869 in die damals neu eröffnete Kunsthalle. Der Ort der Ausstellung ist das nach ihm benannte Harzen Kabinett des Museums, in dem hochempfindliche Graphikarbeiten vor Tageslicht geschützt präsentiert werden. Aufgrund ihres hohen Ranges sind die Hamburger Leonardo-Zeichnungen im Jubiläumsjahr Leonardo da Vincis in bedeutenden Museen weltweit wie dem Louvre in Paris und der Alten Pinakothek in München als Leihgaben zu sehen.
Gefördert von: Freunde der Kunsthalle e. V.