Iwanow
„Was ist los mit mir?“, fragt Iwanow seinen Nachbarn Pawel Lebedew. Iwanow versteht sich selbst nicht mehr. Früher hatte er Ideale, ließ Schulen bauen, wollte Reformen durchsetzen. Mittlerweile ist ihm das alles egal, das ganze Leben ist ihm egal, selbst die hohen Schulden, die sein Gut belasten, rütteln ihn nicht wach. Einst hat er seine Frau geliebt, die wegen dieser Liebe von ihrer jüdischen Familie verstoßen und enterbt wurde. Jetzt liebt er sie nicht mehr, kann sie nicht mehr lieben, obwohl er weiß, dass sie bald an Schwindsucht sterben wird. Genervt von den bedrückenden Verhältnissen zu Hause treibt es ihn abends aufs Nachbargut der Lebedews. Deren Tochter Sascha will ihn aus seiner Depression erretten, doch auch das nervt Iwanow. Überfordert kehrt er heim, wo es schließlich zu einer bitterbösen Auseinandersetzung mit seiner eifersüchtigen Ehefrau kommt, in deren Verlauf er sie als „Saujüdin“ beschimpft. Scham und Schuldgefühle folgen. Es ist eine toxische Zeit, in der Iwanows seelische Erkrankung die Leere, Kälte, Aggression und Kopflosigkeit der Welt um ihn herum spiegelt. Tschechows »Iwanow«, 1887 uraufgeführt, diagnostiziert, wie seine späteren Dramen, die Krise einer gesellschaftlichen Klasse, die in sozialen Umbrüchen ihre Führungsrolle eingebüßt hat, deren Gespräche zwanghaft um das Wort Geld zirkulieren: das Geld der Schulden, der korrupten Geschäfte, das Geld des Kartenspiels, der Mitgift. Eine Klasse die ihre Krise in Alkoholismus ertränkt und ihre Zeit mit sinnlosem Aktionismus totschlägt. Iwanow möchte aus all dem heraus. Eine Tragödie. Seine Umwelt spürt den notwendigen Wandel, will die alte Welt aber nicht aufgeben. Eine Komödie. Am Ende, wie am Anfang des Dramas, fällt ein Schuss.