Ein Stück auf Plattdeutsch – in Kooperation mit dem Ohnsorg-Theater
Was verschwindet, wenn eine Sprache stirbt? Dieser Frage gehen FAUST-Preisträger Helge Schmidt und sein Team in einer sehr besonderen Konstellation nach. In der allerersten künstlerischen Zusammenarbeit des LICHTHOF mit dem Ohnsorg-Theater betrachtet die Gruppe aus der freien Szene die Dimensionen des Aussterbens und Erhaltens von Kultur. Dafür besuchten sie ein schwindendes Volk in Lettland. Gespielt wird auf Plattdeutsch. Der diverse Cast setzt sich aus den Ensemble-Mitgliedern und dem Gast des Ohnsorg-Theaters Birte Kretschmer, Erkki Hopf, Cem Lukas Yeginer sowie der freien Schauspielerin Lamis Ammar (u.a. bekannt aus der Netflix-Produktion „Sandsturm“) zusammen.
Die Küstenvolk der Liven im heutigen Lettland wurde erstmals im späten Mittelalter erwähnt. Heute leben weltweit noch etwa zweihundert Liven, von denen lediglich eine gute Handvoll Livisch auf muttersprachlichem Niveau spricht. Das Volk wird in wenigen Jahren ausgestorben sein, die Sprache ist es aus linguistischer Sicht bereits. Die Liven sind kein Einzelfall. Während Weltsprachen wie Englisch, Spanisch und Französisch im Zuge der Globalisierung an Bedeutung gewinnen, werden Minderheitensprachen und Dialekte von immer weniger Menschen gesprochen. Das Plattdeutsche gehört dazu. Nationalstaaten, Organisationen oder andere Akteur:innen versuchen dieser Entwicklung mitunter entgegenzuwirken. Nicht zwingend ohne Eigennutz.
Wo verläuft die Grenze zwischen Heimatpflege und nationalistischer Instrumentalisierung? Welche Kulturen sind schützenswert? Um welchen Preis? Von wem? Fragen, die auch in Deutschland lange Schatten werfen. Schmidt und Team nutzen bewusst den Umweg über eine ferne Minderheit, um die Dimensionen von Sprache, Kultur und Politik ohne Sentimentalität und Folklore auszuleuchten. Neben Interviews und Videomaterial bilden Theorietexte sowie literarische Versatzstücke, beispielsweise aus Ray Bradburys Dystopie „Fahrenheit 451“, das Korsett der Stückentwicklung. Parallelen und Widersprüche im deutschen Umgang mit Minderheitensprachen treten parenthetisch zutage.
„Dat Leven vun de Liven“ kombiniert dokumentarisches, installatives und dramatisches Theater und unterscheidet nicht zwischen U(nterhaltung) und E(rnst). In ihrer Zusammenarbeit mit den beiden Häusern überschreitet die Produktion nicht nur institutionelle, sondern auch sprachliche, inhaltliche und ästhetische Grenzen.
-------------------
Es spielen: Birte Kretschmer, Erkki Hopf, Cem Lukas Yeginer, Lamis Ammar / Regie: Helge Schmidt / Ausstattung: Atelier LANIKA (Lani Tran-Duc, Anika Marquardt) / Dramaturgie: Anke Kell / Video: Jonas Woltemate / Musik: Frieder Hepting / Lichtdesign: Sönke C. Herm / Regieassistenz: Judith Weßbecher / Produktionsleitung: Kaja Jakstat (Zwei Eulen)
-------------------
Über den Regisseur
Helge Schmidt wurde 1983 in Schwerin geboren und studierte in München Theaterwissenschaft, Psychologie und Neuere deutsche Literatur. Während seines Studiums sammelt er erste Regieerfahrungen an der Studiobühne der Ludwig-Maximilians-Universität. Anschließend war er Regieassistent am Thalia Theater Hamburg. In der Spielzeit 2013/14 inszenierte er dort Rum und Wodka von Conor McPherson in der Spielstätte Nachtasyl, im folgenden Jahr entwickelte und inszenierte er Vom Lagerfeuer zum Weltenbrand, ein Projekt, das sich in Form eines szenischen Konzertes der Zeit vor dem ersten Weltkrieg widmete.
Seit der Spielzeit 2014/15 arbeitet Helge Schmidt als freier Regisseur. Es entstehen Kafka ist traurig, die Uraufführung von Lena Bireschs gentrifiction und seine Interpretation von Horváths Glaube Liebe Hoffnunggemeinsam mit dem Choreografen Jonas Woltemate am LICHTHOF Theater Hamburg. Seine Produktion Weltverbesserungstheater am Theater Erlangen wurde in der Kritikerumfrage der Deutschen Bühne als herausragende Inszenierung der Spielzeit 2017/18 nominiert. Die 2018 mit dem Recherche-Kollektiv CORRECTIV entstandenen Cum-Ex Papers wurden mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUSTausgezeichneten. Mit Tax for Free (2021) und Die Krebsmafia (2022) folgten weitere Kooperationen mit investigativen Journalist:innen.
Helge Schmidt ist sowohl in der freien Szene als auch am Stadttheater aktiv. Seine Arbeiten wurden mehrfach zu Festivals eingeladen.
Eine Produktion von Helge Schmidt und Team, in Koproduktion mit dem LICHTHOF Theater und dem Ohnsorg-Theater.
-------------------
Gefördert durch die Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Kultur und Medien, sowie vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR, durch den Berit und Rainer Baumgarten Stiftungsfonds, die ZEITStiftung Ebelin und Gerd Bucerius, die Rudolf Augstein Stiftung, die LICHTHOF Stiftung und die Carl Toepfer Stiftung.